Das Haus des Künstlers

Im Juli 2006 wurde ein kleines Haus in der Robinson Street, Toronto geöffnet, nachdem Nachbarn die Polizei alamiert hatten. Man fand den Bewohner, Joseph Wagenbach, im Wohnzimmer auf dem Boden liegend. Er hatte einen schweren Schlaganfall erlitten und wurde ins Krankenhaus gebracht.

Sein Haus erregte alsbald Aufmerksamkeit, als man es in der Suche nach Dokumenten für nächste Angehöhrige durchforschte: was zunächst wie das Haus eines “Messy” erschien, stellte sich als eine Art belebtes Atelier heraus: Tageslicht drang nur schwach durch die mit Zeitungspapier verklebten Fenster, und Spuren bildhauerischer Aktivitäten durchzogen alle Räume. Zwischen Sofa, Telephon, Stapel von Büchern und Zeitungen, herumliegenden Medikamenten, Beigen alter Photographien, Radio und Fernseher waren Skulpturen plaziert, dazwischen ein enger begehbarer Pfad rechts und links markiert durch Haushaltsgegenstände, vor einem Sessel und einem Holzofen endend. Eine säulenartige Skulptur schien sich aus aufeinergestapelten konenartigen Gipsteilen bestehend aus einer kellerartigen Vertiefung steigend durch die Decke in den Dachboden zu schrauben. Hier war man an Constantin Brancusis Endlose Säule erinnert. Aus Wänden wuchsen menschliche Portraits heraus, auf Podesten und Regalen zwängten sich Tier- und Aktstudien und seltsame Objekte. - die kleinen Räume waren vollgepackt mit einem wahren Pandamonium amorpher, organischer Formen und Gestalten aus geschichtetem staubgrauem Wachs und Zement.

Wer ist der Mann der hier lebte? Was bewegte ihn dazu, seinen Lebensraum so besessen anzufüllen? Man stiess gegen hängende grosse Skulpturen die den Weg durch die Küche blockierten, oder zwängte sich zwischen ausbeulenden Mänteln in den klaustrophobischen Flur der zu zwei Räumen führte: zum einen zu einem Zimmer das für Jahrzehnte versiegelt war, wo Streifen von in die Türritzen gepresstem Zeitungspapier das Datum des 15. März 1975 anzeigten. Bald stellte sich heraus, dass dies für einige Zeit das Schlafzimmer einer Geliebten war, Anna Neretti, deren Kontaktierung trotz intensiver Nachforschungen nicht erfolgreich war. In diesem kleinen Raum war eine lebensgrosse weibliche Liegende auf dem Bett, ein Zementguss der “gerade aus seiner Form gemeisselt” worden war, immer noch von Gipsbrocken umgeben. Die Kommode war voll von kleineren Skulpturen verschiedenste Materialen, die etwas feiner und klassischer erschienen als viele der anderen Skulpturen im Haus. In den Schubladen fand man Frauenkleidung und Kosmetik aus den siebziger Jahren. War die Frau auch Künstlerin gewesen? Waren die Skulpturen hier von ihr? Oder war sie Wagenbach’s Modell und Muse? Oder beides?

Abzweigend vom Flur ging eine Leiter hoch zum Speicher des Hauses. Sie endete in einem kleinem Glaskubus der aus alten Fenstern zusammengezimmert worden war. Ein Lichtschalter war hier vorhanden, der einen Strahler auf eine in der Ferne sitzende Chimärenskulptur richtete: sie war komplett weiss und sass auf einem Podest der vermutlich der oberste Teil der deckendurchbrechenden Säule war. Eine benutzte Kaffeetasse stand auf dem Sims, - als ob sich hier jemand von Zeit zu Zeit zurückzog um in Abgeschiedenheit nachzudenken.

In Wagenbach’s Küche hingen zwei grosse Objekte von der Decke, die viele Besucher an überdimensionale abhängende Schinken erinnerten. In den Töpfen auf dem Herd waren Reste dunklen Waches mit erstarrten Handschuhen und Malerpinseln, in einigen Eimern auf dem Boden fand man eine Art Schlick aus Wachs und Sand, und leere Zement- und Gipssäcke deuteten Abgussarbeiten an. Die Küche hatte die Funktion des Kochens verloren und diente als Atelier, wie auch das Badezimmer kaum mehr benutzbar schien sondern stattdessen sichtlich als Materialendepot diente.

Zwischen Badezimmer und Garten beigten sich auf einem Schreibtisch Zeichnungen und Skizzen die von dort aus die Wände hinaufzuwachsen schienen. Wendete man sich nach rechts Richtung Garten, musste man eine kleine verglase Veranda durchqueren, die anders als die restlichen Räume sehr organisiert erschien und eine galerieartige Atmosphere schaffte: Wände und Decke waren geweisselt, wohl nur über aufgetackerte Kartonagen, dennoch blütenweiss. Viele Spiegel in verschiedensten Höhen liessen den Raum gross erscheinen und multiplizierten die Skulpturen, die auf seltsamen Zementpodesten, aufgeschichteten Steinen und alten Holzpfosten befestigt waren. Zwei Stufen führten in den Garten, in dem Wagenbach offensichtlich Gemüse anbaute, eine Sammlung alter Besen und Schauffeln aufbewahrte und eine Reihe von Zementskulpturen an der Hauswand lehnen hatte.

Den gesetzlichen Regeln folgend versuchte man 2006 einen “nächsten Anehörigen” auszumachen, was nicht gelang, und so wurden die “Municipal Archives” eingeschaltet um eine mögliche Bewertung der unübersehbaren künstlerische Hinterlassenschaft und den Wert des Hauses einzuleiten.

Was uns bis heute beschäftigt: Worin liegen die Motive und inneren Beweggründe von Wagenbach’s Arbeit? Warum hat er grösste Sorgfalt darauf verwendet seine Werke verborgen zu halten? Hat er nach künstlerischen Vorbildern und Inspirationen gearbeitet, oder haben ihn alte innere Bilder seiner Kindheit oder erlittene Traumatas geleitet?

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