Die Vita der Poperzia de’ Rossi ist eine bemerkenswerte Ausnahme: in ihr beschäftigt sich Vasari mit der weiblichen Schaffenskraft, der er zwar Begabung und Einfallsreichtum zubilligt, der es aber nicht selten an »ratio« fehle. Im Fall der Properzia beweist Vasari diese Irrationalität durch die Schilderung einer leidenschaftlichen Liebe.
Aber auch in den anderen Biographien, der des begabten wie auch routinierten Steinmetz Andrea da Fiesole oder des bedeutenden toskanischen Bildhauers Andrea Sansovino oder des Widersachers Michelangelos, Torrigiani, der Michelangelo im legendären Streit das Nasenbein brach, breitet Vasari immer wieder seine Ansichten zur Kunsttheorie aus: ein hervorragender Künstler ist nur der, bei dem sich Einführung, Intelligenz, umfassende Bildung, Urteilskraft und guter Geschmack mit dem »disegno«
verbinden. Und wer kein gewandtes Auftreten hat, wird nie ein richtiger Hofkünstler.
Giorgio Vasari, geboren 1511 in Arezzo in der Toskana, war ein Universalgenie: Maler, Architekt (u. a. als Baumeister der Uffizien), Berater der Medici, Kunstsammler und Historiker. Sein Hauptwerk sind die »Leben der hervorragendsten Künstler«, kurz: »Le vite«, erstmals erschienen 1550 und im Laufe der Jahre erweitert. Vasari starb 1574 in Florenz.